Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Doch welche Zeitzeugen könnte ich fragen, wie Édith wirklich war?
Zunächst habe ich den Roman von Michelle Marly „Madame Piaf und das Lied der Liebe“ gelesen. Michelle Marly ist es gelungen, Édith als aufstrebende Künstlerin zu zeigen. Èdith Giovanna Gasson, geboren am 19.12.1915 in Paris. Ein „Spatz“, der dankbar Krümel in der Gosse aufpickte und als Pariser „Spatz“ in den Himmel flog. Eine Frau, die die Nacht zum Tag gemacht hat und in Kneipen ihr erstes Publikum fand.
Der Textdichter Raymond Asso hat schnell begriffen, welchen Rohdiamanten er entdeckt hat. Diszipliniertes Proben mit ihm und immer bessere Kontakte beflügelten ihre Karriere. Ihr Name strahlte von Plakaten; vom Varieté bis zum Konzerthaus waren ihre Auftritte bald ausverkauft. In einer Zeit, als die Menschen dringender eine Scheibe Brot brauchten als Musik, gönnten sie sich diesen Krümel Abwechslung, um sich das Leben mit Édiths Musik ein wenig rosarot zu färben.
Michelle Marly hat bewusst die Jahre 1937 bis 1947 gewählt, um Édiths großes Talent zu zeigen, ihre harte Arbeit, um andere Künstler, wie Yves Montand zu protegieren und als Frau, die sich einfach nur nach Liebe sehnt.
Wegen ihrer Tournee nach Deutschland, um vor französischen Kriegsgefangenen zu singen, wurde sie der Kollaboration beschuldigt. Eine Anklage, die Auftrittsverbote und Gefängnis bedeuteten, wenn sie nicht entkräftet würden. Sie lässt sich nicht unterkriegen, verdrängt die Bedrohung und arbeitet weiter. Bis zum erlösenden Bescheid, dass die Anklage aufgehoben wurde. Ganz erstaunt war ich, als ich gelesen habe, dass ihre Reise nach Deutschland sie auch nach Brandenburg, nach Fürstenberg, führte. Hier arbeiteten französische Kriegsgefangene im Rüstungswerk und am Oder-Spree-Kanal. Mit ihrem Gesang schenkte sie den Männern ein wenig Heimat und Hoffnung.
Michelle Marly hat bewusst die Geschichte des „Spatzen von Paris“ erzählt, die sie unsterblich werden ließ. Die Geschichte einer gebildeten Künstlerin mit einer unvergesslichen Stimme, die am 10.10.1963 viel zu früh starb.
Die Stimme, die am Leben und an der Liebe zerbrach, zeigt der Film „La Vie En Rose“. Ein Film von Olivier Dahan. Der Film bringt die Seiten von Édith auf die Bühne, die im Buch zwischen den Zeilen stehen und wo das Buch bewusst endet. Großartig gespielt von Marion Cotillard.
Ob das Buch vielleicht ein wenig zu brav und der Film ein wenig zu überspitzt ist – ich werde es nie erfahren.
Es bleiben Édiths Chansons, die uns die Dramen ihres Lebens mitsingen lassen.
„Non, je ne regrette rien“.
Dezember 2019